Programmheft

Camille Saint-Saëns
Camille Saint-Saëns © Archiv Mendelssohn-Haus

Programm

Camille Saint-Saëns (1835-1921)     
Violinsonate Nr. 1 d-Moll, op. 75
Allegro agitato - Adagio
Allegretto moderato - Allegro molto

Mit Kammermusik konnte man in Frankreich in der Mitte des 19. Jahrhunderts keinen Blumentopf gewinnen. Es genügte, so erinnerte sich Camille Saint-Saëns, „der bloße Name eines französischen Komponisten – noch dazu eines lebenden! – auf einem Konzertprogramm, um das Publikum in die Flucht zu schlagen.” Opern oder virtuose Brillierstücke waren da eher nach dem Geschmack der Zuhörer. Umso beachtlicher ist Saint-Saëns vehementer Einsatz für die Kammermusik. Er gehörte 1871 zu den Mitbegründern der Société Nationale de Musique. Nach dem Debakel des deutsch-französischen Krieges war es das gemeinsame Ziel, die Vorrangstellung der französischen Musik gegenüber der deutschen unter Beweis zu stellen und Kammer- und Orchesterwerke zeitgenössischer französischer Komponisten öffentlich aufzuführen. Da es aber in Frankreich im Hinblick auf die Sinfonien und vor allem auf die Kammermusik so gut wie keine Tradition gab, orientierte man sich zwangsläufig an deutsch-österreichischen Klassikern. Spannungen innerhalb der Société Nationale de Musique, in denen es hauptsächlich darum ging, ob auch Werke ausländischer Komponisten – insbesondere Richard Wagner – aufgeführt werden sollen, bewogen Saint-Saëns 1886 aus der Vereinigung auszutreten.

Auch wenn die stilistische Ausrichtung Saint-Saëns sehr treffend als klassisch charakterisiert werden kann, so orientierte er sich sowohl an den Meistern des Barocks Bach und Händel, als auch an den damals als hochmodern geltenden Romantikern Weber, Mendelssohn und Schumann. Mit seiner Klarheit und Strenge in Harmonik, Rhythmus und Instrumentation ganz im Sinn der „musique savant” (gelehrte Musik) stand er ganz in Opposition zur rauschhaften Gefühlsästhetik des 19. Jahrhunderts, was ihm oft den Vorwurf mangelnder Inspiration einbrachte.

Die Form wahrt er auch in der 1885 entstandenen, virtuos angelegten Violinsonate op. 75. Das viersätzige Werk, bestehend aus zwei Hauptteilen, wobei der zweite und vierte Satz sich jeweils nahtlos anschließen, beginnt mit einem klassischen Sonatensatz: Ein aufgeregtes erstes Thema erhält als Gegenpart eine zauberische Melodie. Der zweite Satz mit einer dreiteiligen Liedform entführt den Zuhörer in die Atmosphäre eines eleganten Pariser Salons. Der zweite Hauptteil erscheint im Duktus eines lebhaften und graziösen Scherzos im 3/8 Takt. Mit einem im Stil eines Perpetuum mobile gehaltenen Schlusssatz, in den das Seitenthema des ersten Satzes mit einfließt, wird der zyklische Gedanke in der Sonate unterstrichen.

In einem Brief an seinen Verleger August Durand vom 18. November 1885 wies Saint-Saëns auf die technischen Schwierigkeiten der Sonate hin und deutete an, dass nur ein Fabelwesen in der Lage sein würde, den letzten Satz zu meistern: „Ich frage mich mit Schrecken, was aus dieser Sonate unter dem Bogen meiner nicht weniger gewöhnlichen als außergewöhnlichen Geiger werden wird; man wird sie die 'Hippogreif-Sonate' nennen”. Er war davon überzeugt, dass „die Stunde ihres Ruhms gekommen ist” und dass „alle Geiger von einem Ende der Welt bis zum anderen sich ihrer bemächtigen werden”. Tatsächlich erfreute sich das Werk bald großer Popularität. Nicht nur Saint-Saëns nahm es regelmäßig in seine Konzerte auf, sondern auch berühmte Geiger wie Eugène Ysaÿe und Jacques Thibaud trugen zur Verbreitung der Violinsonate bei.

Zu den Künstlern
Yiju Seo

In Seoul geboren und in den USA aufgewachsen kam Yiju Seo 2015 nach Deutschland und begann ihr Bachelorstudium im Fach Violine bei Prof. Maria Egelhof an der Musikhochschule Lübeck. Nach ihrem Bachelor-Abschluss begann sie 2019 ihr Masterstudium an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover in der Klasse von Prof. Ulf Schneider. Seit 2021 ist Yiju Seo Akademistin der NDR Radiophilharmonie.

Yebin Kor
Die südkoreanische Pianistin Yebin Kor studiert Kammermusik bei Markus Becker an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Sie trat bereits auf zahlreichen internationalen Festivals in kammermusikalischen Formationen in China, Korea und Italien sowie beim Hitzacker Festival, dem Klangbrücken Festival Hannover sowie dem Olympus Music Festival auf.